Für den Osten der Ukraine wurde nach langen Verhandlungen eine Waffenruhe vereinbart. Nach ihrem Gipfel äußerten sich Bundeskanzlerin Merkel, der französische Staatschef Hollande, Kremlchef Putin und der ukrainische Staatspräsident Poroschenko verhalten optimistisch. Die Einigung auf eine Reform der ukrainischen Verfassung wird allerdings unterschiedlich interpretiert.
Minsk II und viele Fragen
Ab Sonntag, den 15. Februar, 00:00 Uhr Ortszeit sollen in der Ostukraine die Waffen schweigen – jedenfalls verständigten sich darauf die Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands: „Das Wichtigste, was erreicht wurde, ist, dass von Samstag auf Sonntag eine generelle Waffenruhe ohne jegliche Bedingungen erklärt werden soll“, erklärte der ukrainische Präsident. Übertriebenen Hoffnungen, wonach die Krise nun schon ausgestanden sei, versetzte Bundeskanzlerin Merkel einen deutlichen Dämpfer: „Wir haben keine Illusion: Es ist noch sehr viel Arbeit notwendig.“ Die notwendige Kontrolle über die Einhaltung der Vereinbarungen des Gipfels soll in den Händen der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, liegen.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten sollen sowohl die prorussischen Separatisten als auch das ukrainische Militär die Gesamtheit ihrer schweren Waffen 48 Stunden nach dem Beginn der vereinbarten Waffenruhe aus den Kampfgebieten abziehen. So soll ein entmilitarisierter, etwa 50 Kilometer breiter Korridor entstehen. Innerhalb von 19 Tagen sollen sämtliche Gefangenen ausgetauscht werden und die in der Mitte des vergangenen Jahres in Russland verurteilte ukrainische Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko soll besonders schnell wieder auf freien Fuß kommen.
Der ukrainische Staat soll bis Ende Dezember die Gesamtkontrolle über die Grenzen des Landes zur Russischen Förderation bekommen; Teile dieses Grenzverlaufs werden zurzeit von den separatistischen Rebellenverbänden kontrolliert. In diesem Zusammenhang wurde auf dem Gipfel von Merkel, Hollande, Poroschenko und Putin vereinbart, dass sämtliche ausländischen Militärs das ukrainische Hoheitsgebiet verlassen.
Das Moskauer Präsidialamt betonte, dass die ukrainische Souveränität sowie deren territoriale Integrität garantiert werden. Damit wird einer Kernforderung sowohl der Ukraine als auch der westlichen Staatengemeinschaft entsprochen. Bundeskanzlerin Merkel hatte im Vorfeld gewarnt, dass unter Gewalt realisierte Verschiebungen von Grenzverläufen die gesamteuropäische Friedensordnung tangieren. Zulasten der Ukraine hatte Russland sein Staatsgebiet allerdings bereits mit der Annexion der Krim ausgeweitet.
Andererseits ist in diesem Zusammenhang ein am 14. Februar überraschend im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von Russland eingebrachter Resolutionsentwurf zu beachten. Darin werden alle beteiligten Konfliktparteien direkt zur Einhaltung der Minsk-II-Vereinbarungen aufgerufen. Der Sicherheitsrat begrüßte die Resolution und forderte seinerseits die vollständige Umsetzung der Deklaration.
Es stellt sich heraus, dass sowohl die ukrainische Armee als auch die prorussischen Separatisten vor dem offiziellen Beginn der Waffenruhe bestrebt sind, weitere Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen – so der strategisch bedeutsame Eisenbahn-Knotenpunkt Debalzewe sowie die Stadtgebiete von Debalzewo und Mariupol. Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums verwiesen zudem auf neue russische Waffenlieferungen in den Osten der Ukraine, so wären 40 Raketensysteme und 50 Panzer an die Grenze geschafft worden.
Trotzdem gibt es berechtigte Hoffnungen, wonach die Minsk-II-Vereinbarungen wichtige Schritte sind, den Ostukrainekonflikt nicht weiter zu einem gesamtukrainischen Krieg auszuweiten. Auch die weitere Zuspitzung der beträchtlichen Spannungen zwischen den westlichen Ländern und Russland scheint vorerst abgewendet worden zu sein. Allerdings war das Minsker Vorgängerabkommen vom vergangenen September nicht umgesetzt worden; stattdessen konnten die Separatisten seither Gelände in großem Umfang okkupieren.
Das Kriegsrecht droht
In ihrem Verhandlungsmarathon hatten die deutsche Kanzlerin, der ukrainische Staatspräsident sowie Präsidenten Russlands und Frankreichs Wege gesucht, eine Waffenruhe herbeizuführen. Obwohl Poroschenko unakzeptable Forderungen monierte, betonten Merkel und Hollande die vergleichsweise konstruktive Haltung Putins, der seinen Einfluss auf die Separatistenführer geltend machte, um zum Abschluss der Kompromisse zu gelangen. Präsident Putin verwies andererseits auf die Notwendigkeit von Verfassungsreformen, um die Rechte großer russischer Bevölkerungsanteile in der Ostukraine zu stärken. Ob sich Poroschenko diesbezüglich bewegen wird, bleibt bisher unklar, zumal die Separatisten eroberte Gebiete keinesfalls zurückgeben wollen. Stattdessen drohte der ukrainische Präsident mit der Verhängung des Kriegsrechts über die ganze Ukraine, falls die Lage eskaliert.
Die Unterhändler waren sich resümierend einig, dass es reale Chancen gäbe, die Dinge zum Besseren hin zu gestalten. „Minsk II könnte nach Wochen der Gewalt ein Schritt sein, der uns von einer militärischen Eskalationsspirale weg und hin zu politischem Momentum führen könnte“, betonte Deutschlands Bundesaußenminister Steinmeier.
Während die USA Minsk II zurückhaltend und skeptisch bewerten, hat der Internationale Währungsfonds (IWF) 17,5 Milliarden Dollar Unterstützung für den ukrainischen Staat angekündigt, wenn das Land neue wirtschaftliche Reformprogramme realisiert.
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