Mit einem am Freitag, den 13. März 2015 vom Bundesverfassungsgericht veröffentlichten Beschluss kann muslimischen Lehrerinnen in Deutschland das Tragen eines Kopftuches fortan nicht mehr per Landesgesetz untersagt werden. Damit hebt das Bundesverfassungsgericht seinen bisher geltenden Beschluss aus dem Jahr 2003 auf, mit dem das Verbot von Kopftüchern als religiöse Gefährdung oder Störung der Neutralität des Landes oder des Schulfriedens legitimiert wurde. Insgesamt acht Bundesländer in Deutschland führten die Verbote ein, darunter neben Berlin, Bayern oder Bremen auch Nordrhein-Westfalen. Nun klagten zwei muslimische Pädagoginnen aus dem nordrhein-westfälischen Castrop-Rauxel und aus Düsseldorf und nachdem sie zuvor vor Arbeitsgerichten scheiterten, gab der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Klägerinnen in höchster Instanz Recht.
1998 hatte eine muslimische Lehrerin aus Baden-Württemberg gegen ihre Entlassung aus dem Schuldienst wegen des Tragens religiöser Kopfbedeckung geklagt. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht erlaubte mit seinem Urteil den Bundesländern vorsorgliche Verbote, die nun mit dem Urteil des Ersten Senats wieder gekippt wurden. Betroffen sind die Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen, Berlin, Bremen und das Saarland.
Die Richter sahen das „pauschale Verbot“ von religiösen Bekundungen – in diesem Fall durch das bloße Tragen von Kleidungsstücken – in öffentlichen Schulen nicht vereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Glaubens- und Religionsfreiheit. Der entsprechende Passus im Landesgesetz von Nordrhein-Westfalen, der das Verbot von religiöser Kleidung und Symbolik in den nordrhein-westfälischen Schulen bisher begründete, muss also geändert werden und ist in bisheriger Form nicht mehr gesetzeskonform. Obwohl das Bundesverfassungsgericht nur über das Landesgesetz in Nordrhein-Westfalen entschieden hat, betrifft das Urteil auch alle anderen Bundesländer mit entsprechenden Gesetzesregelungen, die sich im Falle weiterer Klagen nicht gegen diesen Präzedenzfall wehren könnten.
Künftig wird es muslimischen Lehrerinnen und Pädagoginnen also auch in öffentlichen Schulen geboten sein, Kopfbedeckung aus religiösen Gründen zu tragen, die nicht in einer anderen Weise als der behandelten gefährdend für den Schulfrieden sein könnte. Das Kopftuch allein sei kein Anzeichen von „Missionierung“ oder „Werbung“ für die Religion, sondern in erster Linie ein persönliches Symbol für die eigene Identität, in der die Religion eine wichtige und nicht zu beurteilende Rolle spielen kann.
Gleichzeitig wurde vom Bundesverfassungsgericht mit dem Entfallen des behandelten Passus auch die Bevorzugung „christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ gegenüber Religionen wie dem Islam aus dem Gesetzestext gestrichen. Die gleiche Behandlung von Christentum und Islam soll zukünftig nicht durch solche und ähnliche Gesetzesparagraphen behindert werden. Ausnahmeregelungen für christliche Symbole, wie sie neben Nordrhein-Westfalen auch in Bayern, Baden-Württemberg und auch Hessen bisher gegeben waren, hat das Bundesverfassungsgericht damit für unzulässig erklärt. Die Länder müssen nun die Gesetzesregelungen überarbeiten.
Außerdem soll durch das Urteil der Ungleichberechtigung von Frauen entgegengewirkt werden, da nur Lehrerinnen durch diesen Passus betroffen waren und vom Schuldienst abgehalten wurden.
In einigen Schulen und Schulbezirken könne das Kopftuch dennoch untersagt werden, wenn etwa sämtliche religiöse Bekundungen bei speziellen Konfliktlagen eingeschränkt werden sollen. Wenn außerdem der Schulfrieden durch das Tragen von religiöser Kopfbedeckung oder anderen Symbolen gestört ist, könne das Gericht in Karlsruhe auch zu anderen Gunsten entscheiden. Wie solche Szenarien in der Schule aussehen könnten, in denen das Kopftuch eine Gefährdung des Schulfriedens darstellt, wurde nicht bekannt gegeben. Es ist daher damit zu rechnen, dass Folgeklagen Szenarien vor Gericht bringen werden, die das Gebot von religiösen Kopftüchern in der Schule verhindern sollen.
Denkbar sind darüber hinaus ähnliche Klagen wie die der beiden nordrhein-westfälischen Pädagoginnen, die das Kopftuchverbot in Teilen des öffentlichen Dienstes anzufechten versuchen.
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