In Deutschland gewinnt das Phänomen der Gentrifizierung zunehmend an Bedeutung und Bekanntheit. Auch Städte in Deutschland wie München, Berlin, Frankfurt am Main und viele weitere sind betroffen. Dabei lassen die immer weiter ansteigenden Mietspiegel keinen Zweifel daran, dass es hier nicht um ein bloß theoretisches Problem geht. Wirtschaft, Politik und Wissenschaft (z.B. Andrej Holm von der Berliner Humboldt-Universität, s.u.) suchen nach Gegenmitteln, die diese Entwicklung stoppen könnten.
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Das Wort leitet sich vom englischen „gentrification“ her. Der englische Ausdruck seinerseits setzt sich aus zwei Teilen zusammen: „gentry“ und „-fication“. Unter „gentry“ hat man den (niederen) Adel zu verstehen; „-fication“ meint, ähnlich den deutschen Wortendungen „-fikation“ und „-fizierung“ ganz einfach soviel wie „Machen“. Wörtlich übersetzt bedeutet „gentrification“ dann etwa: das „Zu-Adel-Machen“.
Geprägt wurde der Ausdruck von der Soziologin Ruth Glass in „London, Aspects of change“, einer Studie, die Glass bereits 1964 veröffentlicht hat (auch in Deutschland wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studien zu diesem Thema veröffentlicht). Sie bezeichnet damit ein Phänomen, das ihr bei Forschungen in einem Londoner Stadtviertel begegnet.
Den Titel wählt sie im Rückgriff auf einen Prozess, der sich im England des 18. Jahrhunderts abspielte. Zu dieser Zeit zog der niedere Adel, „gentry“, zu großen Teilen in die Städte. Mit diesem Vorgang vergleicht Glass ihre Beobachtungen in London. Dort eignete sich eine reichere Bevölkerungsschicht (im übertragenen Sinne: der „niedere Adel“) bestimmte, ursprünglich von einer ärmeren Bevölkerungsschicht bewohnte Stadtteile Schritt für Schritt an, wodurch ärmere Bewohner vertrieben wurden und in Stadtviertel am Rande der Stadt zogen. Im Anschluss an Glass’ Beobachtungen und Überlegungen gelten „gentrification“ und das eingedeutschte „Gentrifizierung“ heute als anerkannte soziologische Fachbegriffe – nicht nur an der Universität.
Der Prozess
Was hat man im Einzelnen darunter zu verstehen? Wie läuft so etwas ab? Er kann unterschiedlich ablaufen. Erstens besteht die Möglichkeit, dass sogenannte „Kreative“, Künstler und Studenten, als „Pioniere“ auftreten. Solche Kreativköpfe verfügen erfahrungsgemäß über geringe finanzielle Mittel. Dementsprechend suchen sie sich günstige Stadtteile bzw. Wohnungen, die bestenfalls in der Innenstadt liegen. Solche Wohnungen finden sich in Armenvierteln. Durch den Zuzug von immer mehr Kreativen wandelt sich der Charakter des Viertels. Das Armenviertel wird mehr und mehr zum „Szeneviertel“.
Durch die Künstler angezogen, tritt endlich der „niedere Adel“ auf den Plan: die Mittelschicht. Die Aussicht auf solche Kundschaft bringt Investoren dazu, Immobilien im betreffenden Viertel anzukaufen und diese zu sanieren. Infolge der Sanierungen steigt der Mietspiegel drastisch an. Das Szene-Viertel wird somit schließlich zum Luxus-Viertel und ebenso wie die Alteingesessenen müssen die Kreativen nun sehen, wo sie bleiben. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass keine Pioniere auftreten, sondern Investoren ohne Umwege ihr Glück in einem Armenviertel versuchen. In jedem Falle werden die alteingesessenen Bewohner durch Sanierung von Immobilien und Anhebung der Mieten aus ihren ursprünglichen Wohnungen vertrieben, sodass zuletzt der „gentry“ einziehen kann.
Beispiele und Maßnahmen von Gentrifizierung
Exempel für Gentrifizierungsprozesse finden sich weltweit und auch in Deutschland in zunehmender Zahl. Im Grunde sind alle großen Städte davon betroffen. Wenn die Politik das Problem auch lange nicht ins Auge gefasst hat, wird es doch in manchen Städten heute zumindest als solches wahrgenommen und man versucht mit verschiedenen Mitteln, dagegen vorzugehen. In München etwa, wo sich das Phänomen in besonders drastischer Weise abzeichnet, ist es Eigentümern von Immobilien in gefährdeten Gebieten untersagt, Luxussanierungen durchzuführen. In anderen Städten hingegen, so etwa in Frankfurt, sieht sich die Stadtverwaltung trotz großer Wohnungsnot und spürbarem Unmut in der Bevölkerung nicht dazu angehalten, ernsthafte Schritte zur Lösung des Problems zu unternehmen.
Es wird immer wieder von Politikern und Forschern betont, dass das Abbrechen eines einmal in Gang gekommenen Gentrifizierungsprozesses sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich sei. Die Frage ist aber, ob ein solches Abbrechen wirklich nur sehr schwer oder vielleicht von Wirtschaft und Politik gar nicht gewollt ist. Durchaus nicht alle Forscher und Städteplaner sehen in der Gentrifizierung eine Gefahr. Viele sprechen auch von einer Chance. Andrej Holm, Soziologe mit Anstellung an der Berliner Humboldt-Universität, der sich lange mit dem Thema befasst hat und selbst gegen eine Verschärfung der Lage kämpft, wirft dem gegenwärtigen Diskurs eine Tendenz zur Verharmlosung des Problems vor. Holm, als Vertreter der Wissenschaft ist der Ansicht, dass die kritische Perspektive bei der Erforschung des Themas in bedrohlicher Weise verloren gehe.
Bild: Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM) / pixelio.de