Barrierefreiheit ist ein hohes Ziel. Denn dieser Begriff ist umfassender, als er derzeit verstanden wird. So liegen zum Beispiel für einen Rollstuhlfahrer andere Barrieren zwischen der Teilhabe und dem realen Leben als für einen Umweltkranken oder einen Blinden. Während die Blinden und die Rollstuhlfahrer in neuerer Zeit verstärkt Beachtung finden, sehen sich die Umweltkranken in Deutschland bspw. gegenüber denen in den USA von jeglicher Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen. Im Übrigen kann es auch heute noch passieren, dass eine norddeutsche Landeshauptstadt einen Bahnhof komplett saniert und weder Behindertenparkplätze noch einen rollstuhlgerechten Aufgang berücksichtigt. So geschehen in Kiel.
Ein gesetzlicher Anspruch?
Barrierefreiheit ist in Deutschland gesetzlich als erstrebenswertes Ziel vorgegeben. Jeder behinderte Mensch soll ohne größere Mühen und fremde Hilfe von A nach B kommen können, ein Konzert besuchen oder auf einer Webseite vergrößerbare Schrift und Hörtexte für Blinde vorfinden. Wie barrierefrei Deutschland im Moment ist, kann man kaum messen. Es gibt von Ort zu Ort große Unterschiede. Je älter die Gebäude sind, desto weniger ist eine barrierefreie Ausstattung wahrscheinlich. Selbst Neubauten sind nicht immer barrierefrei. Oftmals sind immerhin Provisorien wie Metallrampen für Rollstuhlfahrer verfügbar. Beim Urlaub im In- und Ausland wird es noch schwieriger.
Oftmals möchten normale Hotelgäste nicht mit Rollifahrern oder geistig Behinderten zusammen Urlaub machen. Selbst Blindenhunde sind häufig unerwünscht, sei es im Theater oder in einem internationalen Hotel. Erst kürzlich wurde eine Dame, die ihren Begleithund mit ins Kieler Schauspielhaus nehmen wollte, des Hauses verwiesen. Im Kieler Behindertenbeirat diskutiert man vorwiegend die erstrebenswerte Bordsteinhöhe an Bushaltestellen und ähnliche Themen, sieht sich aber ansonsten als Beratungsinstitution von Entscheidungen des Senats oder Bauausschusses wenig beachtet. Viele Barrieren entstehen in den Köpfen derer, die nicht behindert sind.
Alles ist relativ!
Barrierefreiheit ist in der Bundesrepublik heute zwar wesentlich häufiger gegeben, aber sie beschränkt sich auf Einzelmaßnahmen. Es gibt keine Verordnungen, die barrierefreie Zugänge oder behindertengerechte Einrichtungen in öffentlichen Gebäuden zu einem bestimmten Datum vorschreiben. Außerdem gibt es keinen gesamtdeutschen Masterplan. Umbauten in öffentlichen Gebäuden gehen dank hoher Investitionen nur schleppend voran. Oft sind sie nicht finanzierbar. Überbrückende Provisorien erweisen sich häufig als unzureichende Lösungen. Viele Ämter siedeln in historischen Gebäuden. Nur wenn Umbauten anderer Art anstehen, wird auch in Sachen Barrierefreiheit nachgebessert.
Kommunen und Städte verwalten leere Stadtsäckel. Sie können sich größere Investitionen in eine barrierefreie Infrastruktur nicht leisten. Trotzdem muss man sagen: Im Vergleich zu vielen anderen Ländern ist Deutschland nicht schlecht aufgestellt. Einzelne barrierefreie Projekte wie die Koblenzer Bundesgartenschau belegen, dass man am Thema arbeitet. Nur in den USA dürfte es wesentlich mehr Einrichtungen heben, die barrierefrei sind. Dort kann allerdings auch jeder US-Bürger eine millionenschwere Klage wegen Diskriminierung einreichen. Manchmal hilft das den Verantwortlichen auf die Sprünge.
Haufenweise Barrieren versperren den Weg
Man muss nicht einmal eine körperliche Behinderung haben, um vor Barrieren im Urlaub oder im Haus eines Arztes zu scheitern. Menschen mit Höhenangst können keinen gläsernen Fahrstuhl, keinen Paternoster sowie keine schwindelerregende Wendeltreppe am Hotel nutzen. Umweltkranke, die offiziell überhaupt nicht als behinderte Menschen gelten, können keine Wohnung finden, in der Schimmelbefall sowie Chemikalienbelastung ausgeschlossen sind. Kleinwüchsige Menschen können normal hohe Arbeitsflächen nicht erreichen. Großgewachsene benötigten höher gelegte Installationen. Viele Menschen benötigen eine behindertengerecht ausgestattete Wohnung.
Gibt es keine machbaren Alternativen, ist ein Gebäude auch für solche Menschen nicht barrierefrei. Kaum eine in den Sechzigern oder Siebzigern erbaute Wohnung erlaubt, einen Rollator oder einen Rollstuhl durch die Zimmertüren zu bewegen. Wohnungen müssten auf eigene Kosten - aber mit Genehmigung des Vermieters - rollstuhlgerecht umgebaut werden. Meistens müssen Mieter nach einem Unfall sowie im Alter ausziehen, um eine behindertengerechte Bleibe zu finden.
Ein weiter Weg
Mobilitätseinschränkungen, Blindheit oder altersbedingte Taubheit betreffen immer mehr Menschen. Im "Institut für barrierefreie Gestaltung und Mobilität", das vom Sozialverband VDK Deutschland e.V. getragen wird, berät und forscht man zum Thema. Ziel ist es, die Bundesrepublik sowie langfristig auch ganz Europa barrierefrei zu machen. Von diesem Ziel ist man bislang jedoch noch recht weit entfernt.
Bild: GG-Berlin / pixelio.de