Vegan leben – sorgsam, nachhaltig oder total überbewertet?

Vegan leben – eine tägliche Herausforderung?

Immer mehr Menschen verringern als sogenannte Flexitarier ihren Fleischkonsum oder entscheiden sich, konsequent vegan zu leben. In Deutschland gibt es inzwischen etwa eine Million Veganer und der Veganismus scheint gesellschaftsfähig zu werden. Das hat ganz unterschiedliche Gründe.

Tischlein deck dich – aber bitte vegan

Für überzeugte Veganer herrschen in Supermärkten und Discountern fast paradiesische Zustände. Die Obst- und Gemüseabteilungen sind prall gefüllt und selbst für das Essen im Büro ist bestens gesorgt: Fertigsalate und Obstschalen mit mundgerechten Ananas- und Melonenstückchen bieten eine gesunde Alternative zur Imbissbude. Veganes Superfood wie Quinoa soll einen wertvollen Beitrag zur Ernährung leisten und die Lebensqualität weiter steigern. In der Kühl- und Tiefkühlabteilung locken zahlreiche Produkte zum Kauf, auf denen deutlich ein „Vegan-Siegel“ zu sehen ist. Wer mag, kann sich sogar mit der veganen Variante eines Truthahns auf Weizenbasis für das Weihnachtsfest versorgen, statt auf Tiere aus Massentierhaltung zurückzugreifen. Auch eine Tiefkühlpizza mit Käseersatz ist im Handel zu finden. Nie schien es einfacher, vegan zu leben, ohne dabei auf eine abwechslungsreiche Ernährung verzichten zu müssen. Konsequent vegan leben geht jedoch noch weit über das Offensichtliche hinaus.

Vegan leben – in jeder Hinsicht

„Sind diese Pommes denn vegan?“ Für einen Nicht-Veganer scheint diese Frage ungewöhnlich. Was soll an Kartoffeln denn nicht vegan sein? Der Teufel steckt im Detail, beispielsweise in der Form von Zusatzstoffen. Oft kommen in Fertiggewürzmischungen Aromen zum Einsatz, die aus Tieren gewonnen wurden. Ganz davon abgesehen kann Frittierfett Anteile von Butter enthalten und vielleicht zuvor zum Schweineschnitzel ausgebacken gedient haben. Selbst die Getränke haben ihre Tücken: Wein oder Saft können mit Tierkohle oder Gelatine gefiltert sein. Vegan leben heißt also, aufmerksam zu werden und zu bleiben. Dies gilt insbesondere für versteckte Stoffe, die nicht deklariert werden müssen, weil sie nicht mehr im Endprodukt zu finden sind. Der vegane Lebensstil betrifft aber neben der Ernährung auch noch ganz andere Bereiche. Zwar ist der Verkauf von neuen Kosmetikprodukten und deren Inhaltsstoffen in Deutschland inzwischen verboten, wenn sie zuvor an Tieren getestet wurden. Das bedeutet jedoch noch lange nicht das komplette „Aus“ von Tierversuchen für diesen Markt. Die internationalen Kosmetikkonzerne können sie weiterhin durchführen, wenn sie die entsprechenden Produkte nicht in die EU einführen. Für einen Veganer sind diese Firmen, die Tiere quälen und töten, natürlich komplett tabu. Was für die Ernährung gilt, hat auch in der Kosmetik eine große Bedeutung. Neben offen deklarierten Stoffen wie Honig oder Milchprodukte finden sich in Kosmetikprodukten noch weitere tierische Inhaltsstoffe. So ist beispielsweise weniger bekannt, dass Schildläuse immer noch als Färbemittel für Lippenstift dienen können. Und wer würde noch viel Geld für Produkte ausgeben, wenn er wüsste, dass das Elastin aus der Sehne des Rindernackens gewonnen wird? Der Verzicht auf Wolle, Leder, Federn und Seide ist ein weiterer logischer Schritt hin zum Veganismus. Allerdings lauern im Kleiderschrank noch zusätzliche Gefahren, zum Beispiel in Form von Klebstoffen tierischen Ursprungs. Einige Hersteller bemühen sich inzwischen, veganen Kleber für Etiketten zu verwenden und teilweise werden auch schon Schuhe und Taschen beworben, bei denen er zum Einsatz kommt. Wenn es um die Einnahme von Medikamenten geht, gibt es für überzeugte Veganer allerdings immer noch einen Gewissenskonflikt. In vielen Arzneimitteln ist Gelatine oder Laktose enthalten und es sind nur wenige Alternativen vorhanden. In der Homöopathie kommen regelmäßig Schlangen- und Bienengift zum Einsatz. Allerdings praktizieren auch Heilpraktiker, die sich auf die Behandlung von Veganern spezialisieren und sie mit pflanzlichen Mitteln versorgen. Übrigens ist die Energieversorgung auch nicht unbedingt vegan. Inzwischen werden deshalb sogar veganer Strom aus Photovoltaikanlagen und veganes Erdgas frei von tierischen Rohstoffen angeboten. Für Nichteingeweihte scheint der Umstieg wegen der vielen versteckten Produkte tierischen Ursprungs zunächst wie ein Buch mit sieben Siegeln. Sich damit auseinanderzusetzen, ist allerdings aus verschiedenen Gründen durchaus sinnvoll.

Veganismus - ganz schön schwierig, oder?

Als Veganer muss man zunächst einmal sehr viel recherchieren und auch später immer am Ball bleiben. Denn was heute vegan ist, kann morgen doch wieder Honig oder „echten“ Käse enthalten. Immer wieder tun sich neue Quellen auf, von denen man bisher nichts wusste. Auf der anderen Seite wird dem Verbraucher die Entscheidung immer leichter gemacht. Wer auf Nummer sichergehen will, kann in spezialisierten Vegan-Geschäften und bei Internethändlern, die ausschließlich vegane Produkte anbieten, einkaufen oder auf Produkte mit einem „Vegan-Siegel“ zurückgreifen. Die Produktpalette wird immer größer, da ständig Hersteller auf den Markt strömen, um neben ihren konventionellen Wurstwaren auch veganes Hackfleisch anzubieten. Auch bei der Außer-Haus-Verpflegung wird es immer einfacher. Neben veganen Restaurants bieten auch viele Gaststätten und Fast-Food-Ketten vegane Optionen, die weit über Rohkostsalat ohne Dressing hinausgehen. Wenn die Gerichte nicht als vegan ausgewiesen sind, kann ein Blick auf die ausgewiesenen Allergene hilfreich sein. Auch auf den Wochenmärkten werden zahlreiche vegane Produkte beworben und in einigen Städten sogar vegane Weihnachtsmärkte organisiert. Natürlich stößt man in der eigenen Küche auch auf einige Herausforderungen. Was mache ich denn ohne Ei? Greife ich auf ein Ersatzprodukt zurück oder kann ich mir anders behelfen? Brauche ich ein Superfood in meiner Ernährung? Wer gerne kocht wird ganz schnell merken, dass die neue vegane Küche eine offene, neugierige und kreative sein kann. Im Internet findet man zahlreiche vegane Rezepte und im Buchhandel die entsprechende Literatur – vom Einstieg in das vegane Leben bis hin zu kompletten Menüvorschlägen. Trotz allem kostet der Umstieg natürlich eine Menge Zeit. Das ständige Fragen, was im Produkt enthalten ist, erscheint auf den ersten Blick ziemlich umständlich. Auf der anderen Seite bedeutet ein zumindest theoretisches Interesse für den veganen Lebensstil, über die Produkte gut informiert zu sein und die Möglichkeit zu haben, eine Kaufentscheidung bewusster zu treffen. Wer sich informiert und entsprechend einkauft, tut es oft nicht nur den Tieren zuliebe, sondern auch für sich selbst. Sofern man nicht häufig auf vegane Ersatzprodukte wie hochverarbeiteten veganen Wurstersatz zurückgreift, kann die vegane Ernährung Vorteile für die Gesundheit bringen.

Vegan leben – ist das gesund?

„Was kannst du denn jetzt überhaupt noch essen?“ – „Hast du keine Angst vor Mangelerscheinungen?“ Mit diesen Fragen sehen sich Veganer häufig konfrontiert. Die vegane Ernährung muss aber, wenn sie korrekt durchgeführt wird, weder einseitig noch ungesund sein. Wenn sie mit viel frischem Obst und Gemüse gestaltet wird, liefert sie dem menschlichen Körper wertvolle Vitalstoffe. Dafür entfällt natürlich das tierische Fett. Ein Veganer, der sich nur ein Ersatzprodukt in der Pfanne brät, hat gegenüber dem Verbraucher, der eine Currywurst isst, nicht allzu viele Vorteile. Wer allerdings anfängt, sich intensiv mit dem veganen Lebensstil auseinanderzusetzen, geht auch oft noch einen weiteren Schritt. Bei vielen Menschen schwindet das Übergewicht durch die vegane Ernährung, ohne dass sie eine weitere Diät halten, und sie gewinnen neue Energie und Freude an Bewegung. Manch einer hat auch schon berichtet, dass die Lust an Alkohol und Zigaretten gar nicht mehr existiert. Will man komplett vegan leben oder sich zumindest entsprechen ernähren, sollte man unbedingt Mangelerscheinungen vorbeugen. Dies gilt beispielsweise für Eisen. Was der Körper vormals durch Fleisch und Fisch erhalten hat, sollte er nun zum Beispiel durch Hülsenfrüchte gewinnen. Der Bedarf von Vitamin B12 und D kann durch vegane Produkte nicht adäquat gedeckt werden. Ein Veganer sollte deshalb auf die entsprechenden Vitaminpräparate zurückgreifen und sich jährlichen Bluttests unterziehen. Ob Veganismus nun wirklich Krebs verhindert oder das Leben verlängert ist immer noch umstritten, genauso wie die Frage, ob man als Veganer ein Superfood wie Acaibeeren braucht. Hingegen gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass Veganismus Herz- und Kreislauferkrankungen vorbeugen oder abmildern kann und gegen Diabetes wirkt. Der gesundheitliche Aspekt ist also nicht zu unterschätzen. Aber er ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Menschen sich vegan ernähren.

Massentierhaltung –nein danke!

Den typischen Veganer gibt es nicht, denn die Gründe, sich für diesen Lebensstil zu entscheiden, sind vielfältig. Während inzwischen auch manche älteren Leute ihren Fleischkonsum zumindest reduzieren, um in Sachen Gesundheit zu profitieren und dabei vielleicht auch an Tiere denken, ist der klassische Einstieg heutzutage ein ganz anderer. Sogenannte Flexitarier, die ihren Fleischkonsum einschränken, oder Vegetarier, die sich bewusst mit der Massentierhaltung auseinandersetzen, entdecken, dass es den Tieren auch bei der Produktion von Eiern und Milch nicht gut geht. Da vegan im Moment so trendy erscheint, zieht dieser Lebensstil zudem auch etliche Menschen ein, die einfach hip sein wollen und für die das Wohl der Tiere vielleicht nur eine Randerscheinung ist. Und dann – last but not least – gibt es natürlich die Veganer, die diesen Lebensstil ganz konsequent leben. Ursprünglich entstand die heutige vegane Bewegung in Deutschland durch politische Aktivisten, die sich auf der Suche nach einem selbstverwirklichenden Leben ohne Ausbeutung und ohne Gewalt gegen Menschen und Tiere befanden. Auch heute noch sind in der Bewegung viele Menschen zu finden, die mit dem derzeitigen Umgang mit Mensch, Umwelt und Tier unzufrieden sind. Sie stellen ihr Leben früher oder später komplett auf den Kopf und versuchen, es ständig weiter zu optimieren.

Für Umwelt, Mensch und Tiere

Änderungen geschehen bekanntlich nicht über Nacht. Dass die vegane Bewegung überhaupt so viele Anhänger bekommen konnte, ist sicherlich auch der langjährigen Aufklärungsarbeit zu verdanken, die geleistet wurde und immer noch fortgesetzt wird. Umweltschutzorganisationen machen auf die Abholzung von Regenwald zugunsten der Massentierhaltung aufmerksam. Verbraucherverbände decken auf, was tatsächlich in den Produkten steckt und bringen Licht ins Dunkel des Zutatendschungels. Und natürlich sind es die Tierrechtsorganisationen, die erklären, dass viel Wasser und Futter nötig ist, um ein einziges Kilogramm Fleisch herzustellen und die mit Bildern von Schweinen in engen Boxen und geschredderten Küken auf das Leid der Tiere aufmerksam machen. Egal, wie man über den Veganismus denkt – heute kann niemand mehr sagen, er sei nicht über die Zustände in den Ställen informiert. Diese Aufklärungsarbeit trägt sicher einen großen Teil dazu bei, den Trend, sich wieder bewusster zu ernähren, zu verstärken und den Verbrauchern zu zeigen, dass sie durchaus auch Einfluss auf die Hersteller haben. Bild: byheaven / 123RF Lizenzfreie Bilder