Die Lindenstraße – eine deutsche Fernseh-Institution

Wer seinen 30. Geburtstag feiert, hat bereits einige Hürden im Leben übersprungen und kann nun voll durchstarten. Unter den Fernsehserien erreichen indes nur wenige Formate dieses beinahe biblische Alter. Die Lindenstraße gehört dagegen zu den seltenen Dauerbrennern. Und obwohl die Geschichte um eine Münchener Straße und ihre Anwohner nun bald auf drei erfolgreiche Jahrzehnte zurückblickt, ist ein Ende noch lange nicht in Sicht.

Der Kult um die Lindenstraße

Seit dem Jahre 1985 gehört die Lindenstraße fest zum sonntäglichen Vorabendprogramm des Ersten Deutschen Fernsehens. In 20 bis 30 Minuten langen Episoden werden tagesaktuelle Ereignisse mit fiktiven Handlungen vermischt. Die Familien Beimer, Zenker und Schiller, allesamt Mietshausbewohner einer Straße Münchens, zoffen und vertragen, hassen und lieben sich. Mehr noch, die Hauptdarsteller wandeln sich. Sie ziehen aus oder sterben, werden durch andere Personen ersetzt. Langweilig wird es hier also nie. Dass der ARD mit dieser Serie ein Zugpferd unter allen deutschen Sendeproduktionen gelingen sollte, war jedoch anfangs nicht absehbar. Zu wenige Zuschauer fanden sich ein, um Woche für Woche dem Treiben der Schauspieler beizuwohnen – mittlerweile besitzt das Format dagegen eine feste Fangemeine und wird als Kult betrachtet. Der Erfolg gibt den Entwicklern um Hans W. Geißendörfer also recht. Grund genug, auf 30 Jahre zurückzuschauen.

Familienidylle mit Rissen

Bemerkenswert an der Serie gestaltet sich das Zusammenspiel aller Charaktere. Sinnbildlich wurde die Gemeinschaft mehrerer Bewohner innerhalb eines Hauses sowie einer Straße als eine große Familie zusammengefügt. Nicht alle Personen können miteinander umgehen, es kommt zu Reibungspunkten. Angefacht werden diese durch aktuelle Ereignisse wie politische Wahlen, sportliche und kulturelle Großereignisse oder gesellschaftlich brisante Themen – kurzum alles, was die Nation polarisiert. Die Familien der Lindenstraße greifen diese Brennpunkte auf und werden von ihnen geformt. Besonders lobenswert gestaltet es sich dabei, dass Wandlungen jedweder Art einen besonderen Reiz der Produktion darstellen. Die Familien vermischen sich, haben Verluste zu beklagen, raufen sich zusammen. Das vielschichtige Leben von Mutter Beimer und ihren Mitbewohnern erreicht allwöchentlich ein millionenfaches Publikum. Wenngleich dieses von der ARD entwickelte Sendeformat seinen Zenit bereits überschritten haben dürfte. Dennoch richtet sich die Handlung auch wegen ihrer Gegenwartsnähe immer wieder an Zuschauer, die sich damit bislang noch nicht befasst haben – und dennoch mühelos einsteigen können.

Mut zur Wahrheit

Die Lindenstraße stellt zudem eine der ganz wenigen Serien dar, in denen nicht zwingend das positive Ende, der versöhnliche Umgang miteinander oder sogar das kitschige Idyll behandelt wird. Immer wieder werden gesellschaftliche Brandherde zur Schau gestellt: die Alkoholsucht, der Rechtsradikalismus der 1990er Jahre, Krankheiten wie Krebs und AIDS, das Fremdgehen in der Ehe, Scheidungen, Arbeitslosigkeit – es sind diese besonderen Situationen, die den Zuschauer vom Betrachter zum mitfühlenden Teilnehmer reifen lassen. Konflikte stellen sich hautnah ein, statt verschwiegen zu werden. Dieser Bezug zur Realität wurde von vielen anderen Produktionen zumindest im deutschen Fernsehen bislang umgangen. Dass sich die ARD dennoch nicht scheut, auch die heißen Eisen anzupacken und sie trotzdem in sehenswürdigem Rahmen zur Abendbrotzeit zu präsentieren, zeugt von sehr viel Mut, Weitsicht und dem Geschick, die Stimmung der Bevölkerung zu erreichen. Nicht zuletzt dadurch entwickelte sich das Format zu einer echten Institution im Ersten Programm.

Einblicke in die Produktion

Mehr als 1500 Folgen der Lindenstraße wurden seit dem Debüt im Jahre 1985 gedreht. Und das in einem Kölner Filmstudio, dessen Kulisse das Münchener Stadtleben nahezu perfekt darstellt. Zweifelsohne feierte die Serie in den 90er Jahren ihre Höhepunkte – den Zuschauerrekord stellte sie jedoch erst 2005 ein. Und das zum runden Jubiläum der 1000. Episode. Etwa 6,9 Millionen Zuschauer hatten sich seinerzeit für das Vorabendprogramm der ARD entschieden. Allerdings können die Entwickler und Drehbuchautoren von solchen Glanzzeiten nurmehr träumen. Gegenwärtig locken die spannenden Ereignisse der Hausbewohner lediglich durchschnittlich 2,5 Millionen Fans an die Fernsehgeräte. Zu wenig, um sich langfristig zu behaupten. Dennoch zollt der Senderat der Bedeutung der Lindenstraße ihren Tribut: Bis Ende 2016 werden in jedem Falle neue Folgen produziert. Wie es danach weitergeht, blieb bislang offen. Klar ist aber auch: Mit dann 31 Jahren dürfte es gewiss noch zu früh sein, um endgültig aufzuhören. Bild: Wolfgang Dirscherl  / pixelio.de
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